Bevor ich anfange: Ich wollte etwas Neues ausprobieren. Das hier ist dieser Versuch. Als eine Art neue Reihe, ähnlich wie meine poetischen Lückenfüller, habe ich vor, in Zukunft auch hin und wieder kleine Kurzgeschichten zu posten. (In Ermangelung eines besseren Namen taufe ich diese Rubrik vorerst „Frauke Mählmann Shorts“. Wenn eure kreative Ader etwas besseres ausspuckt, lasst es mich gerne wissen) 

Fokus dieser Kurzgeschichten ist die Sichtweise eines Charakters. Es kann sich um einen bekannten Nebencharakter aus meinem bereits veröffentlichten Buch handeln oder einen, der bisher nur in meinen Notizen existiert, das ist vollkommen egal. Das Ganze hat zum Ziel, vielleicht den Blickpunkt dieser ansonsten eher am Rand dahinvegetierenden Charaktere zu beleuchten – auch, wenn ich nicht immer klar machen werde, wer dieser Character ist und welche Rolle er genau spielt. Es sind nur kleine Fenster in ihre Psyche.

Nach dem wir das aus dem Weg geräumt haben: Hier ist mein erster Short! „Der Hut; der Spiegel und warum man die Tür vielleicht besser zu lassen sollte“

Der Stoff auf dem Hut schien die Farbe zu ändern, als sie mit ihren Fingern darüber strich. Es war, als würde sie dunkle Linien in die mintgrüne Fläche zeichnen.

Die feinen Härchen auf dem Stoff folgten der Bewegung ihrer Fingerkuppe. Ein seltsamer Stoff für einen Hut, fand sie. Sie war sich nicht sicher, ob er ihr gefiel. Was für ein Stoff war das hier überhaupt? Das wusste sie nicht. Sie hatte sich den Hut gekauft weil sie fand, dass er ein wenig so aussah wie die Hüte, die die älteren Damen im Fernsehen trugen und denen stand so etwas immer Recht gut. 

Sie setzte ihn auf. Ja, im Spiegel saß er auch auf ihrem Kopf ganz akzeptable. Aber war das genug? Etwas nervös begann sie an ihren Fingernägeln zu knabbern. Eindruck bedeutete heute alles.

Sie hatte ihre Schwester schließlich seit Jahren nicht mehr gesehen. Was würde sie sagen, wenn sie sie vor der Tür stehen sah? Würde sie denken, dass sie zugenommen hatte seit letztem Mal? Würde sie fragen, ob sie immer noch in diesem kleinen Waschsalon arbeitete?

Hoffentlich nicht. Es wäre ein wenig peinlich, zugeben zu müssen, dass sie es tatsächlich nie dort heraus geschafft hatte. Früher, als sie und ihre Schwester noch gesprochen hatten, hatte sie Pläne gehabt. Eine Familie gründen, vielleicht. Und wenn nicht das, dann wenigstens Karriere.

Nichts davon war passiert.

Ach du liebe Güte, nagte sie etwa schon wieder an ihren Fingernägeln? Erschrocken riss sie ihre Finger aus ihrem Mund und warf einen ertappten Blick über die Schulter. Die leere Wohnung starrte vorwurfsvoll zurück.

Eigentlich, dachte sie, während sie den Hut in eine etwas bessere Position rückte, sollte sie sich nicht so viele Gedanken machen. Tina war nicht in der Position auf ihre Lage herabzusehen. Ganz und gar nicht. War das nicht sogar der Grund gewesen, aus dem sie die ewig lange Funkstille unterbrochen hatte? Aus Mitleid zu ihr?

Hatte sie nicht deswegen am letzten Samstag das Telefon zur Hand genommen und todesmutig die Nummer ihrer Schwester gewählt? Weil sie geglaubt hatte, das die Ärmste ein bisschen Beistand brauchen konnte?

Sie hatte es über Umwege erfahren, das mit dem Mädchen. In einem Waschsalon bekam man so einiges mit.

Das Mädchen. Sie erschauderte bei dem Gedanken, und dann gleich nochmal, weil das doch im allgemeinen eine Reaktion ist, die man nicht bei dem Gedanken an seine eigene Nichte haben sollte.

Sie hatte versucht das Mädchen zu mögen, sie hatte es wirklich versucht. Sie hatte ihr Dinge zu Weihnachten gekauft und Kekse zum Geburtstag gebacken, man konnte wirklich nicht sagen, dass sie sich keine Mühe gegeben hatte.

Aber nichtsdestotrotz, irgendetwas an dem Kind hatte sie immer… abgestoßen. Anfangs war es nichts außer einem kleinen Ball aus Windeln und Sabber gewesen, später dann begann es, laute Geräusche zu machen und überall dort herumzulaufen wo es überhaupt nicht passte. Sie verstand nicht, was Tina und ihr Mann an ihr fanden.

Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass dem kleinen Ding das Gefühl für Respekt gefehlt hatte, und das hatte sie ihrer Schwester auch gesagt.

„Kinder sind nun einmal so, Anna“, echote deren Stimme in ihrem Kopf. Ihr Mundwinkel zuckte verärgert bei der Erinnerung. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie selbst als kleines Mädchen anderen nicht vor die Füße gestolpert war. Jedenfalls nicht, während diese anderen Teekannen trugen. Wozu hatte man schließlich Augen im Kopf? Und das kleine Mädchen hatte Augen gehabt. Das war also keine Entschuldigung. 

Tina hatte nicht auf sie gehört. Natürlich nicht, das tat sie nie. 

Sie fragte sich, ob ihre Schwester das wohl bereute, im Angesicht jüngerer Ereignisse.

Sie warf einen Seitenblick zur Tür. der kurze Flurabschnitt, den es zu Durchqueren, sah heute nicht besonders einladend aus. Ihre Augen fanden zurück zum Spiegelbild. Sollte sie wirklich?

Sie konnte genauso gut zuhause bleiben und…

Ja, was eigentlich?

So spontan wollte ihr so gar nichts einfallen, womit sie ihre Zeit verbringen könnte.

Also schön. Für Tina. Sie seufzte und richtete sich ein wenig auf. Sie würde das hier durchstehen. Wie schlimm konnte das Familientreffen schon werden?

 

Und das war es auch schon wieder für diese Woche! 

Bis zum nächsten Mal!