„Alles denkbare wird einmal gedacht. Jetzt oder in der Zukunft.“

Dieses Zitat stammt aus Friedrich Dürenmatts Stück „Die Physiker“, genauer genommen von der Doktorin der Irrenanstalt, in der die Handlung stattfndet. Es ist die Aussage einer – Achtung, Spoiler!- Verrückten, die glaubt, für die Weltherrschaft bestimmt zu sein – aber trotzdem lassen mich die Worte immer wieder stutzen.

Sie implizieren, dass eine Idee immer irgendwann gedacht wird. Dass sie in keinster Weise von der Person abhängt, die sie zuerst ausspricht – ja, dass diese Person mit vermutlich nicht allzu geringer Wahrscheinlichkeit nicht einmal die erste Person ist, die diesen Einfall hatte.

Ideen brauchen uns nicht. Sie sind auch so da, und könnten jedem anderen dahergelaufenem Passanten einfallen.

Geschichten sind im Grunde nichts anderes als sehr komplexe Ideen. Wenn man also für Ideen annimmt, dass sie früher oder später von irgendjemandem gedacht werden, egal von wem, müsste man dasselbe also auch für Geschichten annehmen.

Wenn J.K Rowling Harry Potter nicht geschrieben hätte, hätte dann irgendwann, im nächsten Jahrhundert vielleicht, jemand anders sich daran gesetzt und die Zaubererwelt „erfunden“?

In einem anderen Buch, „Die Muschelmagier“ von Kai Meyer, wird diese Idee in einer etwas anderen Art angesprochen. Einer der dortigen Charaktere , der sich „Urvater“ nennt, beschreibt dort, dass viele Welten „wie Teller auf einem Stapel“ übereinander liegen, und dass einige wenige, Künstler, Maler, Geschichtenerzähler, in der Lage seien, in die anderen Welten hinüber zu blicken und dann allen anderen zu erzählen, was sie sehen. Im Grunde ist es dasselbe Konzept: Alles existiert bereits. Wir entdecken es nur und schreiben in gewisser Weise Beobachtungen auf, ohne es zu merken.

Ich fand diesen Gedanken faszinierend, als ich es damals zum ersten Mal gelesen habe. Und um ehrlich zu sein, mir gefällt die Vorstellung. Der Geschichtenerzähler als Beobachter und Entdecker, nicht als Schöpfer. Ich bin zu oft von meinen eigenen Geschichten überrascht worden, als dass ich letzteres behaupten könnte *lacht, ist aber unfähig das mit der Computertastatur darzustellen* .

Ich versuche das immer mit meiner kleinen „Amerikametapher“ zu erklären:

Christoph Kolumbus hat Amerika nicht aus dem Nichts herausgezaubert, er war einfach nur der erste, der zufällig darauf gestoßen ist. Eigentlich waren sogar schon andere vor ihm da. Aber die haben nie jemandem davon erzählt.

Autoren und Geschichtenerzähler sind dann diejenigen, die anfangen, Karten von der Idee, der Welt, über die sie gestolpert sind, zu zeichnen, damit andere sie auch finden können.

Und weil alle guten Dinge drei sind, hier noch ein letztes Zitat:

„Natürlich ist das alles in deinem Kopf. Aber warum sollte es deswegen nicht wirklich sein?“ – Albus Dumbledore, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes.

Natürlich existiert diese Welt nur in einem Buch. Aber warum sollte das bedeuten, dass sie nicht real ist? Sie ist im Buch, aber warum ist im Buch nicht wirklich?

Ich glaube, in einem Buch zu existieren ist der natürliche Zustand der Dinge. Weil alles, das gedacht werden kann gedacht wird. Das schließt auch uns mit ein. Irgendwo, in einer von Milliarden von Welten, ist irgendjemand auch über uns gestolpert und hat uns aufgeschrieben. Das macht uns nicht weniger real als wir sind.

Sind wir vielleicht selber nur Charaktere einer Geschichte? Ich sage, natürlich sind wir das!

Und nichts an dem Gedanken ist auch nur im Entferntesten unheimlich.

 

 

Seit ihr noch da? Gut. Ihr habt meinen (zugegebenermaßen) sehr philosophielastigen Beitrag (hoffentlich) unbeschadet überstanden!

Viel Spaß an eurem weiteren Wochenende!

P.S.: Ich plädiere stark für Emojis auf Computertastaturen