Heute ist es mal wieder an der Zeit für einen Griff ins Regal, um eine alte Schullektüre in Vorbereitung auf das mündliche Deutschabitur herauszuziehen. Dieses Mal ist das Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“ von Bertolt Brecht an der Reihe. 

Grundsätzlich ist über dieses Stück zu sagen, dass es von Brecht unter den drohenden Vorzeichen des zweiten Weltkrieges im skandinavischen Exil geschrieben wurde. Dementsprechend ist es ursprünglich als eine Art der Warnung vor den Untiefen und Grausamkeiten des Krieges gedacht gewesen. Brecht hat versucht, die Sinnlosigkeit eines solchen Abschlachtens einzufangen. Dem folgend spielt die Handlung auch zur Zeit des dreißigjährigen Krieges im Schatten der verschiedenen Heere und an verschiedenen Orten.

Die Markentenderin Anna Fierling, die mit ihrem kleinen Wagen versucht, im Umfeld der Heereszüge Gewinn zu machen, zieht mit wechselnder Begleitung sowie ihren drei Kindern Eilif, Schweizerkas und Kattrin durch den Krieg. Ein Kind nach dem anderen stirbt dabei, während es der Mutter bis zum Schluss nicht gelingt, dass Elend, das der Krieg über sie gebracht hat, als solches zu erkennen.

Als Drama ist das Stück nach dem Stil von Brechts sogenanntem „epischen Drama“ verfasst, dass sich der traditionellen Struktur eines Dramas, also unter anderem dem klaren Aufbau in fünf Akten, entzieht, und stattdessen die Illusion des Theaters durch Ansprache des Publikums, eingestreute Musikstücke oder ähnlichem durchbricht. Um die Form des Erzählens, die Brecht wählt, erklären zu können, ist es wichtig dies im Hinterkopf zu behalten.

Er möchte den Zuschauer daran erinnern, dass er in einem Theater sitzt und sich Gedanken über das Stück zu machen hat.

„Die Schriftsteller können nicht so schnell schreiben, als die Regierungen Krieg machen können; denn das Schreiben verlangt Denkarbeit“

Bertolt Brecht

Egal, ob man sich bewusst Gedanken macht oder nicht, im Stück wird einem eines mit ziemlicher Sicherheit ins Auge fallen: Wie sehr die Figuren in ihren Aussagen und Meinungen schwanken. Dies sieht man nicht nur daran, wie schnell Mutter Courage und ihre Begleiter, einschließlich des evangelischen Feldpredigers, sich ins katholische Lager einfügen, als hätten sie nie zu den Evangelischen gehört, sondern besonders in den etlichen Gesprächen über Krieg und Frieden.

Die Charaktere sind opportunistisch. Sie versuchen ihre Haut zu retten, vor allem in der oben bereits erwähnten Szene, aber ihr Hang, situationsabhängig wechselnde Gesichter zu zeigen, ragt weit darüber hinaus in ihre sozialen Interaktionen und ihr Alltagsleben hinein.

Sätze wie „es gibt ja nix vollkommenes allhier auf Erden. Einen vollkommenen Krieg, wo man sagen könnt: an dem ist nix mehr auszusetzen, wirds vielleicht nie geben. (…) Plötzlich kann er ins Stocken kommen, an etwas unvorhergesehenem, an alles kann kein Mensch denken. Vielleicht ein Übersehen, und das Schlamassel ist da“, in dem der Krieg als etwas Gutes angepriesen und nur sein vorübergehendes Aussetzten zum Schönheitsfehler erklärt wird, und „Schuld sind die, wo Krieg anstiften, sie kehren das Unterste zuoberst beim Menschen“, in dem die grausamen Auswirkungen des Krieges eingeräumt werden, werden in derselben Szene von derselben Person gesagt.

Die einzigen Ausnahmen in diesem Meer von Wendehälsern stellen Mutter Courages erwachsene Kinder da, die alle je einen speziellen Wert verkörpern, nach dem sie, situationsunabhängig, handeln. Sie schlittern nicht von der einen in die andere Ansicht wie ihre Mitmenschen, sondern legen stets dieselben Maßstäbe an.

Diese Standhaftigkeit, wenn man so will, kostet sie alle drei das Leben. Die Umstände ihres Sterbens entlarven diejenigen um sie herum als die Heuchler, die sie sind:

Der älteste, Eilif, wird von seinen Kameraden und Vorgesetzten während des Krieges als Held gefeiert, als er den Bauern ihr Vieh stiehlt und sie selbst erschlägt. Als er jedoch dasselbe im kurzlebigem Frieden probiert, wird er als Verbrecher abgeführt, und dieselben Leute, die ihn vorher mit Lob überschüttet haben, schütteln nun nur noch den Kopf.

Ähnlich sieht es mit der Tochter Kattrin aus: Die Bauern vor Halle beten darum, dass die Wächter der Stadt aufwachen und den Ansturm des feindlichen Heeres bemerken. Als die stumme Frau daraufhin die Angelegenheit selbst in die Hand nimmt und zu trommeln beginnt, also genau das zu erreichen versucht, worauf im Gebet nur gehofft wurde, reagieren sie hysterisch und versuchen, sie unter Drohungen zum Aufhören zu bewegen. Zugegeben, die Situation der Bauern ist eine absolute Notsituation und Kattrins Getrommel zieht den Zorn der Feldherrn auf sie, welcher sie das Leben kosten könnte. Sie sind daher nicht direkt mit den Umstehenden bei Eilifs Ende zu vergleichen, aber der Grundsatz wird dennoch klar.

Darüber hinaus erscheinen die Prioritäten der Charaktere von Zeit zu Zeit etwas verdreht gesetzt zu sein: Ihr materieller Besitz steht bei ihnen höher im Kurs als das eigene Leben oder das derer um sie herum. Deutlich wird das, als Mutter Courage ihren Sohn Schweizerkas verliert, weil sie mit der Herausgabe des Bestechungsgeldes zu lange zögert und stattdessen verhandelt. Aber sie ist nicht die einzige, der diese Einstellung zum Verhängnis wird: Ein Bauernpaar wird in den Trümmern verschüttet, weil sie sich weigern, ihren Hof im Stich zu lassen, obwohl sie sich der Gefahr bewusst sind. Der Bauernsohn auf dem Hof, auf dem Kattrin sterben wird, weigert sich den Angreifern den Weg zur Stadt zu zeigen, in der er Verwandte hat, ja, er bleibt sogar standhaft, als man ihm mit dem Tod droht. Erst, als sein Besitz, das Vieh auf dem Hof, auf dem Spiel steht, knickt er ein.

Der Krieg kehrt in der Tat „das unterste zu oberst“, wie der Feldprediger sagt. Er formt die Menschen in opportunistische, egoistische Elendshäufchen, die ihm nicht entkommen können. Wer versucht, sich dem zu wiedersetzen, wird unter seinen Rädern zermalmt. Niemand gewinnt, auch, oder vor allem, die Mutter Courage nicht, obwohl sie sich ihrer Sache so sicher ist.

Letztendlich werden in den drei Kindern Eilif, Schweizerkas und Kattrin die menschlichen Werte Kühnheit, Ehrlichkeit und Gutherzigkeit erschossen, durch die Funktionäre eines scheinbar endlosen Krieges. Es ist kein Platz für sie da.

Ein zentrales Element von Brechts Werk ist dabei, dass keiner der Akteure im Drama dies versteht. Nach dem Tod ihrer Tochter hastet Anna Fierling dem nächsten Heereszug hinterher, immer noch in dem Glauben, mit ihrem verlumptem Wagen dort ihren Gewinn machen zu können. Dass es sie, die Prostituierte Yvette und all die anderen, die sie zeitweise begleiten schon viel mehr gekostet hat als es jemals wieder einbringen könnte, das kommt ihr nicht in den Sinn. Verstehen können nur wir, die Zuschauer. Verstehen sollen wir, und die Warnung annehmen. Der einfache Mann verliert im Krieg. Es gibt nichts zu gewinnen. Nicht auf den Schlachtfeldern des dreißigjährigen Krieges, nicht in den Schützengräben des ersten- und nicht in den Uniformen des zweiten Weltkrieges

 

Und ganz bestimmt nicht in einer nuklear zerstörten Landschaft.

 

Man könnte an diesem Drama noch einiges viel weiter ausführen. Die Fixierung auf das Materielle vieler Figuren wäre zum Beispiel mit Blick auf Brechts eigener, sehr linker politischer Einstellung interessant. Aber der Samstag neigt sich seinem Ende zu, und so beende ich diesen Blogeintrag an dieser Stelle.

Habt eine schöne Woche!